Christoph Baumann

Ein Bild soll einen anspringen!

Es bildet im Idealfall von Weitem her einen Anziehungspunkt, aus der Nähe betrachtet, generiert es ein Mysterium, nämlich das der Malerei. Die Komposition, das Zusammenspiel der Farben, der Malduktus, das Netzwerk der linearen Beziehungen halten einen gefangen und laden zu immer neuem Betrachten ein.

Ein zentraler Aspekt scheint mir die Frage der Energie.

Wie wir aus der Physik wissen, braucht es ungeheure Mengen an Energie um Lebewesen in ihrer vitalen Struktur zu erhalten. Diese Energie manifestiert sich dann in den Erscheinungsformen derselben aber auch in den gewaltigen Faltungen der Gebirge, in Strudeln und Lichtspielen fliessender Gewässer, in den unendlichen Variationen der Wolkenbilder. Ein freistehender Baum, was für ein Beispiel gebundener, vitaler Energie!

Ein Bild ist für mich, nebst der Tatsache, dass es uns Einblicke in Unerwartetes, nie Gesehenes oder in oft unachtsam Wahrgenommenes gewährt, zudem selber ein Energieträger, ein Energievermittler. Dies gilt selbstverständlich auch für nichtfigurative Malerei. Ein Bild kann also einerseits die Energie der Natur, der „abgemalten“, interpretierten Natur, über die Hand der Interpret*in auf die Betrachter*innen transferieren. Natürlich kann aber jede gestaltete Bildoberfläche direkt auf uns einwirken.

Gelingt bei einem figurativ gemalten Bild dieser Energietransfer von der Natur auf das Medium und von da auf den, die Betrachter*in, würde ich es als gelungen bezeichnen.

Es geht nun in meinem Fall eher nicht darum, die Malerei neu zu erfinden, sondern in aller Bescheidenheit etwas von dem, was uns die Natur schenkt, mittels eines gemalten Bildes anderen Menschen zu übermitteln. Damit sind natürlich nicht nur Bäume, Berge und schöne Landschaften gemeint, das kann auch die Schönheit einer zerfallenden Industrieanlagen sein, auch die dargestellte Schönheit der Zerstörung durch Erosion, der individuell gewählte Ausschnitt, das Sujet. Sie alle sind mögliche Augenöffner für die Betrachter*innen. Diese sehen als Folge vielleicht etwas, was sie auf diese Weise so noch nie gesehen haben oder bemerken etwas, an dem sie  bis zu diesem Zeitpunkt achtlos vorbeigegangen sind. Malen heisst: Augen öffnen, die eigenen, die der Anderen.

Dies scheint die andere Aufgabe von Kunst zu sein, uns überhaupt, nebst der Vermittlung von Energie, die Augen und Ohren zu öffnen für die Wunder dieser sichtbaren, hörbaren, spürbaren Welt. Kunstwerke sind festgehaltene Ausschnitte aus einem unendlich grossen Spektrum von oft im Verborgenen anwesender Schönheit.

Das fortwährende Betrachten, Beobachten, das Studium von Gemälden helfen mir, Lösungen zu finden, führen dazu, ein Sujet in einem bestimmten Licht zu sehen, prägen also auch meine Wahrnehmung, inspirieren mich in deren Umsetzung.

Der fruchtbare Mix aus gelungenem Kopieren, dem Finden von überraschenden Lösungen und grandiosem Scheitern führt immer wieder zu neuen und überraschenden Bildfindungen.

Als improvisierender Musiker, bin ich es gewohnt, aus dem Moment heraus, aus mir selber oder dem anregenden Mitgestalten anderer am Prozess beteiligter Musiker*innen, Energie zu produzieren. (Diese Prozesse gleichen auch eher solchen der abstrakten Kunst). In der Malerei fasziniert mich im Moment  aber dieser Prozess der Erforschung und Abbildung von Erscheinungsformen von Energie in der Natur, indem ich sie mittels Pinsel und Farbe, Form werden lasse.

Vor etwa 10 Jahren habe ich sozusagen schüchtern das Malen wieder aufgenommen.

Als Bub relativ begabt, habe ich viel gezeichnet und auch gemalt, dies eigentlich bis Ende des Lehrerseminars, sogar etwas darüber hinaus und habe damit Geld verdient!  Dann wurden Musik und Theater immer wichtiger und die innere Ruhe und natürlich auch die Zeit für das Malen wurden immer weniger. Nebst der Faszination für Musik, waren es vor allem die Möglichkeit der Begegnung mit anderen Musiker*innen, das gemeinsame Arbeiten, sowie ein abenteuerliches Reiseleben, welches mich schlussendlich zur Musik verführten. Ich konnte zudem auch nie ein Bild beginnen, wenn nicht sozusagen unendlich viel Zeit zur Verfügung stand, das Zögern und Zaudern damals, bevor dann endlich der Malprozess begann, war nervig und die Möglichkeit zu Musizieren gab mir hier die Chance, auch wenn nur mal zehn Minuten zur Verfügung standen, etwas zu üben oder zu improvisieren. Dies  war  doch verlockender und meiner Ungeduld entsprechender, als eben die Malerei.

Jetzt, mittlerweile pensioniert, steht wieder mehr Zeit zur Verfügung und die Malerei kehrt zurück.

Ich małe hauptsächlich nach Fotografien, welche ich selber mache, meistens Motive aus der näheren Umgebung. Die dann gewählten Ausschnitte sind natürlich wieder geprägt von den Bildlösungen vieler Maler*innen. Die meisten meiner Fotografien, sind also keine Erinnerungen für das Familienalbum, sondern immer wieder potentielle Vorlagen für ein Bild. Diese Fotos, manchmal in Serien, dienen als strukturelle Vorlage für den Malvorgang. Irgendwann löst ein solches Foto jeweils eine Art Vision für ein Bild aus. Auf dieser Basis entwickelt jedes Bild im Malprozess ein Eigenleben und entfernt sich im Idealfalle recht weit von der fotografierten Vorlage. Die subjektive Auswahl des Objektes, des Ausschnittes wird nun mittels Farbe und Duktus, perspektivischer Verzer

rung dramatischer, quasi expressiver.

Manchmal gelingt etwas auf Anhieb, manchmal erst nach langem Hin und Her und x-fachen Übermalen.

Durch das Betrachten der Natur und den daraus hervorgegangenen Interpretationen, werden die Beobachtungen genauer, man sieht mehr, man versteht zunehmend das Netzwerk der Linien, welche eine dargestellte Situation als Struktur zusammenhalten. Zurzeit steht für mich die Darstellung der Natur im Vordergrund, nicht weil ich finde, nur diese sei einer Darstellung würdig, sondern weil es hier für mich unendlich viel zu entdecken und zu entwickeln gibt.

Auch wird mir erst jetzt über das eigene, zaghafte Vorgehen erst richtig bewusst, welchen Mut und welches Können es jeweils brauchte um sich (damals) von der klassischen Malerei zu entfernen. Es wird nachvollziehbar, was es bedeuten kann, nur noch in reinen Farben zu malen, was divisionistische Effekte bewirken können, was es heisst, dem Pinsel freien Lauf zu lassen etc.

Die spannende Reise ins künstlerisch Ungewisse setzte ich mit Lust und Freude fort.

Christoph Baumann